Sexualisierte Belästigung im Betrieb ist leider kein Einzelfall. Im Folgenden schildert eine Betroffene ihre Erfahrungen. Der Fall ereignete sich in einem Betrieb aus dem Organisationsbereich der NGG, die Angaben sind anonymisiert. Als Gewerkschaft unterstützen wir Betroffene und bieten Hilfestellungen an.
Liebe Kollegin, danke, dass du zum Gespräch bereit bist und deine Erfahrungen teilst! Du bist an deinem Arbeitsplatz von einem Kollegen sexuell belästigt worden. Was ist passiert?
Mein Vorgesetzter hat mich über einen Zeitraum von mehreren Monaten gestalkt und mich immer wieder zu sexuellen Handlungen aufgefordert.
Wie hast du diesen Vorfall im Betrieb öffentlich gemacht?
Ich habe mich zunächst vertraulich an einen befreundeten Kollegen gewendet. Er war schockiert und ermunterte mich, mich zu wehren. Ich meldete den Vorfall unserer Mobbingbeauftragten. Daraufhin fand zusammen mit ihr und der Betriebsleitung ein gemeinsamer Termin statt. Bei diesem Gespräch wurde ich gebeten mich erst mal krankschreiben zu lassen, bis man eine Lösung gefunden habe.
Und wie sah die Lösung aus?
Mein Vorgesetzter wurde degradiert und ich wurde an einen anderen Standort versetzt. Dort gefiel es mir gut. Nach einem Monat erhielt ich die Weisung wieder an meinen alten Standort zurückzukehren. Der Gedanke den Belästiger und seine befreundeten Kollegen täglich zu sehen, erschien mir unerträglich. Da ich NGG-Mitglied bin, wendete ich mich an die NGG und bat um rechtliche Hilfe.
Wie war deine Erfahrung mit der NGG?
Die Kolleginnen bei der NGG haben mich sofort verstanden. Alle waren nett und sehr empathisch. Zunächst haben wir besprochen, was für mich eine akzeptable Lösung sein könnte. Ich wollte wieder zurück an den neuen Standort, wo es mir gefiel und der Belästiger nicht arbeitete. Es ging recht schnell, da erhielt ich den Anruf von der NGG, dass die Versetzung zurückgenommen wird und ich wieder an den neuen Standort zurückkehren kann. Aber nach kurzer Zeit merkte ich, dass ich immer wieder geschnitten wurde. Ich wurde nicht zum gemeinsamen Mittagessen eingeladen. Am schlimmsten war für mich, dass mittlerweile alle Kollegen über den Vorfall Bescheid zu wissen schienen. Es wurde getuschelt. Man tat so, als wenn ich die Böse bin, die sich anstellt, den Betriebsfrieden stört und dafür sorgt, dass Köpfe rollen. Auch mein Arbeitgeber gab mir zu verstehen, dass ich nerve. Ich hatte immer mehr den Eindruck, dass man mich rausekeln wollte.
Man teilte mir Arbeitszeiten zu, an denen ich gar nicht arbeiten konnte, weil die Kita geschlossen war. Mein Arbeitgeber wusste, dass ich kleine Kinder habe und auf die Öffnungszeiten der Kita angewiesen war. Vor dem Vorfall und kurz nach dem Vorfall hatte ich immer Arbeitszeiten, die den Öffnungszeiten der Kita entsprachen.
Was hast du dann gemacht?
Ich bat die NGG das Arbeitsverhältnis zu beenden, weil ich einen neuen Arbeitsplatz gefunden hatte. An dem Getuschel würde sich nichts ändern. Ich war regelrecht stigmatisiert. Ich wollte also selbst gehen, aber wenigstens eine Entschädigung für mein ganzes Leid erhalten. Die Kollegin von der NGG sagte, dass eigentlich der Belästiger sofort nach dem Vorfall eine fristlose Kündigung hätte bekommen müssen. Die fristlose Kündigung hätte aber sofort ausgesprochen werden müssen. Wenn sie nicht sofort erfolgt, ist eine fristlose Kündigung nicht mehr möglich. Das ging also nicht mehr.
Die NGG handelte für mich eine Abfindung aus. Insgesamt war ich 3 Jahre im Betrieb beschäftigt. Ich habe einen finanziellen Ausgleich von über 36.000,00 € erhalten. Normalerweise zahlt der Arbeitgeber nichts, wenn der Arbeitnehmer selbst gehen möchte. Insofern war ich mit dem Ergebnis sehr zufrieden.
Was würdest du anderen Kolleginnen und Kollegen empfehlen, die eine Belästigung erleben?
Habt keine Scheu so einen Vorfall sofort zu melden. Es wird nicht besser. Es wird immer schlimmer!
Was rät dir die NGG im Umgang mit sexualisierter Belästigung?
Sexualisierte Belästigungen sind nicht nur unerwünschte körperliche Berührungen oder sexualisierte Übergriffe, sondern auch verbale oder nichtverbale Äußerungen, die einen sexuellen Bezug haben. Auch anzügliche Bemerkungen oder Witze, unerwünschte E-Mails mit sexuellem Bezug, Aufhängen oder Verbreiten pornografischer Bilder oder Kalender in den Arbeitsräumen gehören hierzu.
Dabei ist nicht entscheidend, wie die Handlung gemeint ist, sondern wie sie ankommt! Ist die Handlung unerwünscht oder wird jemand gar zu Handlungen gezwungen, handelt es sich um eine Belästigung. Hierbei spielt es keine Rolle, ob der oder die Belästigende eine Führungskraft, Kollege oder Kunde ist.
Sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz sind keine Seltenheit. Eines ist immer klar: Schuld sind nie die Betroffenen, Schuld sind immer die Täter. Der Arbeitgeber ist verpflichtet vorbeugende und unterbindende Schutzmaßnahmen zu treffen und eine Beschwerdestelle nach § 13 AGG einzurichten. Unterbindende Maßnahmen können u.a. Versetzungen und fristlose Kündigungen sein. Tut der Arbeitgeber nichts darf die/der Betroffene unter bestimmten Voraussetzungen ihre Arbeit verweigern, ohne ihren Entgeltanspruch zu verlieren. Ferner steht ihr möglicherweise ein Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber zu. Wichtig ist, dass der Vorfall so schnell wie möglich gemeldet wird. Ein Schadensersatzanspruch kann nur innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht werden.