Der Branchen- und Arbeitgeberverband DEHOGA ist gegenüber einer Initiative der Gewerkschaft NGG, die vereinbarten Tariferhöhungen im sächsischen Hotel- und Gaststättengewerbe mehr Beschäftigten zugänglich zu machen, auf Tauchstation gegangen. Die NGG kritisiert, der Branchenverband stehle sich aus der Verantwortung und weigere sich damit, die Branche zukunftsfähig zu gestalten.
Worum es geht: Im Juni 2024 einigten sich die Gewerkschaft NGG und der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) auf einen neuen Tarifvertrag für Beschäftigte im sächsischen Hotel- und Gaststättengewerbe. Demnach steigen die Löhne für Fachkräfte bis zum 01. Juni 2026 in drei Stufen um insgesamt 18 Prozent. In Euro entspricht dies einem Lohnplus von 426 Euro (Tarifgruppe 3.1). Dazu gibt es für die Beschäftigten dieses Jahr zwei zusätzliche Urlaubstage.
Das Problem: An den meisten der etwa 87.000 Beschäftigten im sächsischen Hotel- und Gaststättengewerbe geht dieses Tarifplus jedoch vorbei. Das ist das ernüchternde Fazit der Gastronomiegewerkschaft NGG nach zahlreichen Touren durch die sächsischen Hotels und Gastronomiebetriebe. Die Gewerkschaft schätzt, dass allenfalls ein Viertel aller Beschäftigten in den Genuss der Lohnerhöhungen und des zusätzlichen Urlaubs kommen. Der Grund: Nur eine Minderheit der Betriebe unterliegt der sogenannten Tarifbindung. Viele der Mitgliedsbetriebe im DEHOGA Sachsen haben eine OT-Mitgliedschaft, das heißt ohne Tarifvertrag, oder sie sind erst gar nicht im Verband.
Damit aber alle Beschäftigten in den Genuss der Tariferhöhungen kommen und ein Wettbewerb über die niedrigsten Löhne in der Branche unterbunden wird, hat sich die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) an den Arbeitgeberverband DEHOGA gewandt. Die NGG will den Tarifvertrag für einen Großteil der Beschäftigten allgemeinverbindlich erklären lassen. Damit würden zentrale Beschäftigtengruppen aller gastronomischer Einrichtungen und Hotels die Erhöhung erhalten. Im Einvernehmen mit dem Arbeitgeberverband kann ein solches Verfahren beim Arbeitsministerium beantragt werden.
Auf eine Initiative der Gewerkschaft Anfang Juli hat der DEHOGA aber bisher nicht reagiert. Dabei hatte der DEHOGA unmittelbar im Nachgang zum Tarifabschluss erklärt, mit der Gewerkschaft die Branche sozialpartnerschaftlich gestalten zu wollen und die NGG öffentlich ausdrücklich dazu eingeladen.
„Der DEHOGA geht auf Tauchstation ausgerechnet da, wo es darum geht die gefundene Tarifeinigung und vereinbarte Lohnerhöhung mehr Beschäftigten zugänglich zu machen. Die Branche leidet unter Fach- und Arbeitskräftemangel. Aber der Branchenverband steckt den Kopf in den Sand, statt mitzugestalten“, kritisiert Thomas Lißner von der NGG Dresden-Chemnitz.
Lißner weiter: „Möglichst viele Beschäftigte sollen von den Tariferhöhungen profitieren und zusätzliche Urlaubsansprüche bekommen. Der Gesetzgeber gibt den Sozialpartnern mit dem Verfahren der Allgemeinverbindlichkeit ein Instrument an die Hand. Nur muss die Arbeitgeberseite auch bereit sein, dieses Instrument zu nutzen. Andersfalls laufen die Klagen der Branche über fehlendes Personal ins Leere.“
Hintergrund zum Verfahren der Allgemeinverbindlichkeit (AVE):
Für das Verfahren der Allgemeinverbindlichkeit müssen Gewerkschaften und Arbeitgeberverband zusammen einen Antrag beim Arbeitsministerium einreichen. Im Land Sachsen beschäftigt sich dann ein sogenannter Tarifausschuss damit. In diesem sitzen Vertreter der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Ihre Empfehlung kann dann der sächsische Arbeitsminister in eine Verordnung umsetzen.
Eine ausgelernte Facharbeitskraft erhält nach dem Tarifvertrag derzeit Brutto 2.538,00 €. Das entspricht einem Stundenlohn von 14,63 €, also deutlich mehr als der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 12,41 €. Das Verfahren der „Allgemeinverbindlichkeit“ soll auch für die Ausbildungsvergütung gelten. Hier ist es der NGG gelungen für das 1. Ausbildungsjahr eine Vergütung von 1.000,00 € durchzusetzen, im 2. und 3. Ausbildungsjahr gibt es 1.100,00 € bzw. 1.200,00 €.
In anderen Bundesländern kommen solche Verfahren bereits zum Einsatz. Die NGG verweist auch auf Anforderungen aus Europa. Über die sogenannten „EU-Mindestlohnrichtline“ sind Mitgliedsstaaten sogar dazu angehalten, Maßnahmen zur Erhöhung der Tarifbindung zu ergreifen.