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Thomas, bitte stell dich kurz vor.
Ich bin Thomas Michaelis und arbeite seit 39 Jahren bei der Firma Refresco. Wir stellen Fruchtsäfte und Nektare her und haben in Deutschland 12 Standorte, weltweit sogar über 100. Ich bin Betriebsratsvorsitzender am Standort Calvörde und bei Refresco Gesamtbetriebsratsvorsitzender. Vorsitzender der NGG-Region Magdeburg bin ich seit über 20 Jahren und auch seit über 20 Jahren im Landesbezirksvorstand Ost der NGG. Ansonsten arbeite ich ehrenamtlich noch als Richter beim Landesarbeitsgericht in Halle.
Seit 38 Jahren engagierst du dich in der NGG. Was treibt dich an?
Am Anfang hab ich mir über Gewerkschaften gar keine Gedanken gemacht. Ich habe bei der Berliner Kindl Brauerei in Berlin-Neukölln Brauer und Mälzer gelernt, 1994 an der VLB in Berlin meinen Braumeister gemacht. Bereits während meiner Lehre haben mich engagierte Gewerkschaftsmitglieder mit den Zielen der NGG vertraut gemacht und mich überzeugt Mitglied zu werden. Und dann habe ich irgendwann als Betriebsrat kandidiert, auch wieder, weil man mich darauf angesprochen hat. Sehr schnell wurde mir klar, dass man dort mit der Verbindung zur Gewerkschaft den vielseitigsten Arbeitsplatz der Welt hat. Ich bin auch überzeugt davon, dass in den Betrieben, aber auch in unserem Land, Demokratie nur funktionieren kann, wenn es eine Ausgewogenheit der Kräfte der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gibt. Wenn die Arbeitnehmer in Verbindung mit den Gewerkschaften eine starke Stimme haben. Das gilt sowohl bei der Gestaltung der Arbeitsplätze, als auch bei anderen politischen Rahmenbedingungen.
Bei Refresco habt ihr umfangreiche Automatisierungswellen und Arbeitsplatzabbau hinter euch. Was hat euch vor Ort in solchen Zeiten der Unsicherheit geholfen?
Wir befinden uns ungefähr seit dem Jahr 2009 in der Getränkeindustrie, speziell im Fruchtsaftbereich, in der Dauerkrise, weil die Märkte immer kleiner werden. Das hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass wir nach der Finanzkrise 2008 für 2 Jahre Kurzarbeit hatten. Dann fusionierten wir, damals noch Emig, mit der Firma Refresco und verhandelten erneut einige Sozialpläne und so ging es auf und ab. Mit dem Einzug neuer Technologien und Maschinen kam weiterer Personalabbau. Die letzte größere Personalmaßnahme war vor 2 Jahren bedingt durch den Bau eines automatischen Hochregallagers. Wir haben als Betriebsrat gemeinsam mit dem Arbeitgeber Lösungen gefunden, die nicht nur Interessenausgleich und Sozialplan bestanden, sondern auch innerbetriebliche Versetzungen vorgesehen haben. Mit Qualifizierungsmaßnahmen und altersgerechten Lösungen entstand ein Mix, mit dem wir den Standort zukunftsgerecht aufgestellt haben. So konnten wir anstelle von 40 geplanten Entlassungen fast alle im Betrieb halten, die bleiben wollten. Seitdem findet auch wieder ein leichter Personalaufbau statt.
Wie sind deine Kolleginnen und Kollegen damit umgegangen? Gab es da Verzweiflung? Gab es kämpferische Reaktionen?
In den letzten 15 Jahren ist die Stimmung immer schlechter geworden. Nach jedem Sozialplan, nach der Kurzarbeit, muss man viel erklären, viel neu aufbauen und jeder Sozialplan, jeder Entlassungswelle hinterlässt Spuren in der Belegschaft und führt dazu, dass die Motivation sinkt. Hinzu kommt, dass wir natürlich in unserer Branche nicht so viel Geld verdienen können, sondern viele Discounter zu unseren Hauptkunden gehören. Dann bleibt nicht genug hängen, um jedes Jahr größere Investitionen tätigen zu können. Als Betriebsrat müssen wir immer dagegenhalten und Zukunftsängste abbauen, wenn Entlassungswellen passieren. Und wenn bei neuen Problemen nicht gleich eine neue Lösung gefunden wird, verbreitet das wieder neue Ängste bei den Leuten. Angst macht etwas mit den Menschen. Manchmal bringt es Menschen dazu Dinge zu sagen oder zu machen, die sie eigentlich nicht vertreten. Daher ist es sehr wichtig Ängste zu nehmen, durch die Maßnahmen zu begleiten und zu beraten. Das hilft immer!
Welche Maßnahmen helfen noch dagegen?
Manche soziale Dinge sind auf der Strecke geblieben. Ich denke da zum Beispiel an Hoffeste oder Weihnachtsfeiern. Wir haben vorletztes Jahr ein Hoffest gemacht, auch weil wir 30 Jahre am Standort gefeiert haben. Wir haben auch Ehemalige eingeladen. Es waren auch Leute dabei, die gehen mussten bei den Entlassungswellen. Das war wichtig fürs Herz, sie wiederzusehen und ein ehemaliger Auszubildender hat kurz danach wieder bei uns angefangen. Jetzt werden die Mitglieder aktiver Rentnergruppen zu den Weihnachtsfeiern dazu geladen und Jubilare sollen wieder mit einem gemeinsamen Abendessen feierlich gewürdigt werden. Und- die Tarifrunden sind wichtig. Wenn es erforderlich ist, mal vor der Tür mit den NGG-Fahnen dem Arbeitgeber zuzuwinken. Da sind unsere zu über 80% organisierten Mitarbeiter stets gut motiviert dabei!
Ist von der Belegschaft anerkannt worden, dass ihr euch da so eingesetzt habt?
Ja, wenn immer noch geschimpft wird, dann über den Arbeitgeber.
Kommen wir zur Politik. Bei euch gab es viel Unsicherheit und Veränderung, mit denen man irgendwie umgehen musste. Ihr habt das ja recht erfolgreich geschafft. Viele blicken vor der mit Unsicherheit auf die aktuelle deutsche Politik. Wie nimmst du das wahr?
Ich finde mich da als Arbeitnehmer nicht mehr wieder, ehrlich gesagt. Weder SPD noch Linke kann ich mit dem Herzen wählen. Ob ich mich durchringen kann, den Scholz zu wählen? Was ist eigentlich aus unserer Partei der Arbeitnehmer geworden? Die Demokratien sind in den letzten Jahren stark angegriffen worden, unter anderem von rechten Orientierungen. Und die Regierung reagiert viel zu langsam und zögerlich darauf. Die Parteien sind scheinbar ängstlich. Wenn man herausgefordert wird und ängstlich drauf reagiert, kommt das auch nicht gut bei den Leuten an und bestärkt eher die Unsicherheit. Es fehlen von den Politikern klare Antworten auf die Lügen und die Unwahrheiten, die extreme Parteien hier verbreiten. Und hier im Betrieb erlebt man auch öfter, dass viele Fakes verbreitet werden. Da hilft nur dagegen halten mit klaren Argumenten. Wir brauchen keinen Wettbewerb an Überbietungen von immer neuen Versprechungen die nicht eingehalten werden. Es ist alles da, um konsequent Politik in diesem Land zu machen und die Mitbürger zu schützen. Es muss angewendet werden. Stattdessen schiebt einer dem anderen die Schuld zu.
Ich weiß, dass es sehr wichtig ist, wählen zu gehen, auch um schlimmeres zu verhindern, so werde ich wieder wählen gehen und meine Arbeiterpartei auf dem Wahlzettel suchen und wahrscheinlich wieder schweren Herzen meine SPD wählen, ohne innere Überzeugung und nur weil die Alternativen grauenvoll wären.
Viele halten die AfD mittlerweile für eine echte Alternative. Wie stehst du dazu?
Die AFD ist ja auch deswegen erfolgreich, weil sie Dinge anspricht, die einige Leuten stören. Es gibt ja auch manches, was nicht funktioniert. Wie kann es sein, dass in Magdeburg jemand durch den Weihnachtsmarkt rauscht mit so einem Vorstrafenregister? Und dann haben Parteien, die das Thema Migration auf die Spitze treiben, immer wieder Zulauf, obwohl die allermeisten Geflüchteten nicht straffällig werden. Die Zündschnur ist bei vielen Leuten recht kurz geworden und manche wollen gar keine Argumente mehr hören. Die suchen leichte Lösungen. Das sehen wir jetzt ja auch wieder bei Trump. Er wurde gewählt, ohne dass die Leute überhaupt wissen, wie seine Versprechen umgesetzt werden sollen. Da gibt es gar keine Erklärung zu, oder? Aber meckern kann man immer, wenn man in der Opposition ist. Ich wünsche mir eine regelrechte Flut von positiv besetzten Berichten in Presse, sozialen Medien und Fernsehen über die vielen Menschen die sich in Deutschland tagein tagaus engagieren und dazu gehören auch die allermeisten Flüchtlinge. Neben dem was nicht funktioniert, muss auch gezeigt werden was alles geht bei uns.
Dabei müssen dringend Probleme gelöst werden. Behördenämter brauchen ewig bei der Bearbeitung, zu viele Formulare und Regeln. Und hier im ländlichen Bereich spielt die Gesundheitsversorgung eine große Rolle für die Unzufriedenheit der Leute. Es gibt immer weniger Angebote ärztlicher Versorgung. Die Leute warten Monate, manchmal ein Jahr, um einen Augenarzttermin zu bekommen. Das wird schlimmer und das sorgt alles dafür, dass die Leute verärgert und enttäuscht sind. Und gleichzeitig steigen die Beiträge, die Post wird teurer, die Krankenkassen und und... Die Leute in Schichtarbeit wissen nicht, ob sie bis zur Rente durchhalten. Wir versuchen natürlich, das mit unseren Tariferhöhungen ein bisschen aufzufangen, aber die Sorgen überwiegen. Es muss wieder eine geförderte Altersteilzeit geben und die gesetzliche Rente darf nicht ständig neu in Frage gestellt werden.
Was wünscht du dir von der Politik?
Dass wieder schneller entschieden wird in unserem Land. Die Politik soll die Dinge wieder ernst nehmen und ihre Themen auch in verständlicher Sprache erklären. Sie müssen uns überzeugen in den Betrieben, dass wir wieder mit Herzblut rausgehen können und sagen können, „Ich will den Olaf Scholz, der ist doch toll.“ Und es können nicht alle in der Großstadt leben. Man muss auch auf dem Land Perspektiven schaffen. Jedem Politiker rate ich: Zuhören, zuhören, ernstnehmen, auch wenn Menschen AFD wählen. Überzeugte Rechte sind die wenigsten unter denen.
Vielleicht müssen wir uns aber auch als Gewerkschaften wieder verstärkt mit eigenen Lösungen in die Politik einmischen. Nein, nicht vielleicht, ganz sicher müssen wir das.